Gruppenpsychotherapie
- peterhipfl
- 15. Mai
- 4 Min. Lesezeit
"Das Verstehen ist ein Wiederfinden des Ich im Du."
Wilhelm Dilthey

Die Angst vor dem Unbekannten
Auf die Frage, ob die Teilnahme an einer Gruppe vorstellbar wäre, ist die primäre Reaktion in der Regel eine ablehnende. In der gemeinsamen Betrachtung der Ursachen dieser Abneigung, zeigen sich bei den meisten Menschen ähnliche Ängste, Befürchtungen, Fragen und Missverständnisse. Scham, die Angst vor Bewertung und Ablehnung, die Vorstellung, dass kein anderer Mensch derartige Zustände (Depressionen, Ängste, Zwänge, …) erlebt, oder die Frage, warum ich mich mit den Problemen anderer Menschen belasten soll, wenn ich mit meinen eigenen schon überfordert bin.
Mit diesem ersten Blogeintrag möchte ich diese nachvollziehbaren Ängste und Befürchtungen entkräften sowie häufig gestellte Fragen zu Gruppenpsychotherapie beantworten. Darüber hinaus erkläre ich meine persönliche Herangehensweise an die Arbeit mit Gruppen als Integrativer Psychotherapeut. Es ist auch ein Plädoyer für eine wirkmächtige Therapieform, die der Natur unseres menschlichen Daseins entspricht.
Am Du zum Ich
Unsere grundlegende menschliche Natur ist ausgerichtet auf das in Beziehung sein. In unserem Gewordensein haben die Anderen schon immer mitgewirkt. Ohne ein zugewandtes menschliches Gegenüber ist gesunde Entwicklung nicht denkbar. In den Gruppen unseres Lebens gestalten sich menschliche Kontakte, Begegnung, Beziehung, Ziele, Aufgaben, Dynamik und Struktur. In ihnen entwickeln sich Atmosphären und Emotionalität. Sie sind Quelle von Kränkung, Verletzung und Traumatisierung ebenso wie von Zuneigung, Wachstum und Heilung.
Die Wirkung von Gruppenpsychotherapie
Die Wirkung von Gruppentherapie im Hinblick auf psychotherapeutische Veränderungen ist mittlerweile empirisch nachgewiesen. Was die verschiedenen Wege dieser Veränderung betrifft, gibt es keine Wirkung von Psychotherapie im Einzelsetting, die nicht auch in der Gruppe realisierbar ist. Umgekehrt gibt es jedoch einige Wirkfaktoren die nur in Gruppentherapie zur Wirkung kommen. In Abhängigkeit von Besonderheiten der jeweiligen Gruppe (Personenanzahl, Störungsbilder, Geschlecht, Häufigkeit der Treffen, Dauer des gesamten Gruppenprozesses), dem zugrundeliegenden Verfahren (psychotherapeutische Schule) sowie der Gruppenleitung, kommen die folgenden Wirkfaktoren in unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen.
Altruismus
Ich kann anderen Menschen Hilfe geben und erlebe das damit verbundene Gefühl für jemanden wichtig zu sein.
Interpersonales Lernen und Selbsterkenntnis durch Feedback
Ich erhalte ehrliche und wertschätzende Rückmeldungen anderer Gruppenteilnehmer. Auch und gerade wenn dieses Feedback Verhaltensmuster betrifft, die die Beziehungsgestaltung in meinem Privat- oder Berufsleben behindern, führt dies zu Selbsterkenntnis und eröffnet den Weg zu Veränderung.
Katharsis
In dynamischen Gruppenprozessen oder der Einzelarbeit mit dem Therapeuten, durchlebe ich unterdrückte, nicht gelebte Emotionen. Zu der grundsätzlichen Erleichterung durch dieses „Abreagieren aufgestauter Gefühle“, kommt die heilsame Erfahrung, dass ich mich mit meinen Gefühlen innerhalb der Gruppe zeigen kann - sein darf, wie ich bin – und keine Ablehnung oder Abwertung erfahre.
Gruppenkohäsion
Mit der Entwicklung der Gruppe und wachsendem Vertrauen zueinander, erlebe ich zunehmenden Zusammenhalt sowie ein Zugehörigkeits- und Akzeptanzgefühl innerhalb der Gruppe.
Reinszenierung von Mustern
Unbewusst wiederhole ich Erleben oder reinszeniere Beziehungen meiner Herkunftsfamilie. Diese Muster, die häufig die Beziehungsfähigkeit einschränken, werden in der Gruppentherapie bewusst gemacht, durchgearbeitet und im besten Fall aufgelöst.
Die Erfahrung mit meinem Erleben nicht allein zu sein
Ich erkenne, dass anderen Personen in der Gruppe unter ähnlichen oder den gleichen Problemen leiden wie ich selbst.
Die folgenden Wirkfaktoren kommen auch in der Einzeltherapie zum Tragen, werden durch die Gruppenteilnehmer jedoch multipliziert.
Anleitung
Ich erhalte von den Gruppenteilnehmern (oder Therapeuten) Ratschläge und Hilfestellungen.
Identifikation
Ich identifiziere mich mit anderen in der Gruppe oder dem Therapeuten.
Hoffnung geben
Gruppenteilnehmer geben mir verbal oder durch ihre beispielhafte Entwicklung Hoffnung.
Selbstöffnung
Ich mute mich den Menschen in der Gruppe (und dem Therapeuten) mit intimen, scham- oder schuldbesetzten Themen und den damit verbundenen Emotionen zu ohne Ablehnung oder Verurteilung zu erfahren.
Einsicht
Durch die Arbeit mit dem Therapeuten aber auch das Miterleben von Evidenzerfahrungen und der Entwicklung anderer Gruppenteilnehmer (vikarielles Lernen), erkenne ich Zusammenhänge meines eigenen Gewordenseins.
Existentielle Themen
Im Lauf des Gruppenprozesses kommt es unweigerlich zur Auseinandersetzung mit existentiellen Themen des menschlichen Daseins, der Sinn des Lebens, Einsamkeit, Krankheit und Tod.
Für wen ist Gruppenpsychotherapie geeignet?
Mit wenigen Ausnahmen ist nahezu jedes psychische, psychosoziale oder somatoforme Leiden, das eine Indikation für Psychotherapie im Einzelsetting darstellt, auch im Rahmen einer Gruppenpsychotherapie behandelbar. Die individuelle Indikation sowie der Ausschluss von Kontraindikationen werden vorab in einem oder mehreren Einzelgesprächen geklärt. Für manche Personen kann es sinnvoll sein, vor der Teilnahme in der Gruppe einige Sitzungen Einzeltherapie in Anspruch zu nehmen. Auch parallele Einzel- und Gruppentherapie ist möglich.
Wie ist die Zusammensetzung der Gruppen?
Von der Männergruppe abgesehen, richtet sich die Zusammensetzung der Gruppe teilweise nach den Leidenszuständen der teilnehmenden Personen. Diese umfassen affektive Störungen (depressive und bipolare Störung), Angst- und Zwangserkrankungen, somatoforme (psychosomatische) Erkrankungen sowie Traumafolgestörungen. Die Gruppengröße umfasst in der Regel neben den Therapeuten 7 bis maximal 10 Personen, erwachsene Männer und Frauen gemischt.
Was passiert in einer Gruppentherapie?
In einer integrativen psychotherapeutischen Gruppe wird nicht manualisiert oder „nach Plan“ gearbeitet. Im Hier und Jetzt, jeden Moment aufs Neue, entsteht aus den Gedanken, Erzählungen, Emotionen und Resonanzen, die Teilnehmer in die Gruppe einbringen, ein unvorhersehbarer, sich beständig verändernder Gruppenprozess. Neben der aktuellen Lebenssituation und dem individuellen Erleben der Personen, ist dieser Prozess an sich - die Gruppendynamik - ein Hauptfokus der therapeutischen Arbeit. Welche Resonanz entsteht aus meinem Beitrag? Was lösen die anderen in mir aus? Was löse ich in den anderen aus? Wie erleben mich die Anderen? Wodurch entsteht emotionale Resonanz, wo entwickelt sich Abneigung oder Zuneigung?
In der Gruppentherapie gilt Verschwiegenheitspflicht für alle teilnehmenden Personen! Ein "sich öffnen" ist nur in gegenseitigem Vertrauen möglich, dass alles was in der Gruppe besprochen wird auch in der Gruppe bleibt.
Was ist das Ziel von Gruppentherapie?
Beziehung ist in der psychotherapeutischen Gruppe zugleich Ausgangspunkt, Medium, Wirkfaktor und Ziel der gemeinsamen Arbeit. Selbsterkenntnis durch ehrliche Resonanz in wechselseitiger Bezogenheit. Das Ablegen der alltäglichen "Masken" und die Erprobung neuer "Rollen" im geschützten therapeutischen Rahmen. Mit zunehmendem Vertrauen in der Gruppe, ermöglichen diese Prozesse die Entwicklung und das Wachstum der individuellen Autonomie, Souveränität und Beziehungsfähigkeit. Ein Mehr an Lebenszufriedenheit durch gesteigertes Verständnis, Empathie und Wohlwollen seinen Mitmenschen und sich selbst gegenüber.
Wie ist der Weg in die Gruppe?
Sollten Sie an der Teilnahme in einer Gruppe interessiert sein, führe ich mit Ihnen ein kostenloses und unverbindliches Erstgespräch um einander kennenzulernen und gemeinsam zu klären, ob Gruppenpsychotherapie für Sie die geeignete Therapieform darstellt, oder vielleicht zunächst eine andere Form, wie Einzel- oder Paartherapie gewählt werden sollte. Es ist auch möglich, Einzel- und Gruppensitzungen parallel stattfinden zu lassen.
Nach Ihrer Entscheidung für die Gruppentherapie und dem Kennenlernen der anderen Teilnehmer an den ersten beiden Abenden, bitte ich um Ihre freiwillige Verpflichtung für mindestens 6 Monate kontinuierlich an den Gruppensitzungen teilzunehmen. Diese "Verpflichtung" ist für den Gruppenprozess und Ihre eigene Entwicklung innerhalb der Gruppe von maßgeblicher Bedeutung.
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